Ausstellung im Foyer der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, 31.08. bis 10.09.2023
die ausstellung in der ULB Düsseldorf
Am 17. März 2023 legte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einen Vorschlag zur Neuregelung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vor. Zu den zentralen Änderungsvorschlägen des inzwischen in die „Montagehalle“ (BMBF) zurückgeschickten Papiers gehörte eine Verkürzung der Befristungshöchstgrenze für Postdoktorand*innen auf 3 statt wie bisher 6 Jahre – ohne dass darüber hinausgehende Zukunftsperspektiven für die Betroffenen thematisiert wurden. Die verheerenden Konsequenzen des WissZeitVG für die einzelnen Wissenschaftler*innen, die seit seiner Einführung 2007 spürbar sind, sollten noch weiter verschärft werden. Der sich seit 2020 unter dem Hashtag #ichbinhanna in den sozialen Medien formierende Protest gegen die prekären Arbeitsbedingungen im deutschen Wissenschaftssystem wurde durch den Novellierungs-Vorschlag des BMBF erneut befeuert.
Auch an der HHU begann sich nun wöchentlich eine kleine Gruppe von Wissenschaftler*innen zu treffen, um Protestaktionen vor Ort zu planen und für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu demonstrieren. Die ersten Versuche waren nicht von Erfolg gekrönt: Mitstreiter*innen ließen sich nur schwer gewinnen, zu groß war die Angst vor negativen Folgen, würde man sich beteiligen.
Im Rahmen der bundesweiten „Aktionswoche Wissenschaft“ vom 12. bis zum 16. Juni 2023 wurde am 13. und 14. Juni 2023 deshalb eine Protestaktion an der HHU umgesetzt, die persönliche Anwesenheit nicht zwangsläufig erforderte. Um die hohe Befristungsquote und die mangelnden Zukunftsperspektiven auch an der HHU sichtbar zu machen, hatten Betroffene die Möglichkeit, einen Zettel mit ihrem Vornamen zu versehen. Einen grünen Zettel konnten diejenigen ausfüllen, die unbefristet an der Universität angestellt sind, einen roten hingegen diejenigen, die zu den befristet Beschäftigten zählen. Gesammelt wurden die Zettel auf dem Campus zunächst an der Heinrich-Heine-Statue vor der Bibliothek, dann auf der Brücke zur Mensa. Binnen weniger Stunden waren beide Orte von roten Zetteln mit wenigen grünen Inseln übersät. Insgesamt haben sich knapp 200 Wissenschaftler*innen der HHU an der Aktion beteiligt.
Das WissZeitVG regelt, dass wissenschaftliche Mitarbeiter*innen bis zu 6 Jahre vor und nach der Promotion befristet beschäftigt sein können. Nach diesen Fristen ist eine Anstellung jenseits unbefristeter Stellen nicht mehr möglich. Das betrifft ca. 80% der wissenschaftlichen Angestellten an deutschen Universitäten.
Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz – WissZeitVG)
§ 2 Befristungsdauer; Befristung wegen Drittmittelfinanzierung
…die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt. Nach abgeschlossener Promotion ist eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren, im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren, zulässig, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt; die zulässige Befristungsdauer verlängert sich in dem Umfang, in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1 und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger als sechs Jahre betragen haben. Die vereinbarte Befristungsdauer ist jeweils so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist. Die nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert sich bei Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei Jahre je Kind. Satz 4 gilt auch, wenn hinsichtlich des Kindes die Voraussetzungen des § 15 Absatz 1 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vorliegen. Die nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert sich bei Vorliegen einer Behinderung nach § 2 Absatz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung um zwei Jahre. Innerhalb der jeweils zulässigen Befristungsdauer sind auch Verlängerungen eines befristeten Arbeitsvertrages möglich.
…die Beschäftigung überwiegend aus Mitteln Dritter finanziert wird, die Finanzierung für eine bestimmte Aufgabe und Zeitdauer bewilligt ist und die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter überwiegend der Zweckbestimmung dieser Mittel entsprechend beschäftigt wird; die vereinbarte Befristungsdauer soll dem bewilligten Projektzeitraum entsprechen.
…mit einer deutschen Hochschule oder einer Forschungseinrichtung im Sinne des § 5 abgeschlossen wurden, sowie entsprechende Beamtenverhältnisse auf Zeit und Privatdienstverträge nach § 3 anzurechnen. Angerechnet werden auch befristete Arbeitsverhältnisse, die nach anderen Rechtsvorschriften abgeschlossen wurden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Arbeitsverhältnisse nach § 6 sowie vergleichbare studienbegleitende Beschäftigungen, die auf anderen Rechtsvorschriften beruhen.
…die Befristung nicht auf Vorschriften dieses Gesetzes gestützt werden. Die Dauer der Befristung muss bei Arbeitsverträgen nach Absatz 1 kalendermäßig bestimmt oder bestimmbar sein.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1, 2 und 5 soll die Verlängerung die Dauer von jeweils zwei Jahren nicht überschreiten. Zeiten nach Satz 1 Nummer 1 bis 6 werden in dem Umfang, in dem sie zu einer Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages führen können, nicht auf die nach Absatz 1 zulässige Befristungsdauer angerechnet.
Am Anfang von #IchBinHanna steht eine Sammlung von Gründen gegen das Sonderbefristungsgesetz auf Twitter. Schnell sind die avisierten 95 Gründe gefunden: #95vsWissZeitVG. Vor allem wird aber klar, dass es sich nicht um einzelne Schicksale handelt, sondern dass alle Forschenden im Wissenschaftssystem betroffen sind. Im Herbst 2020 griffen Juniorprof.in Dr. Amrei Bahr, PD Dr. Kristin Eichhorn und Dr. Sebastian Kubon das Thema auf und veröffentlichten unter #IchBinHanna ihre Wissenschafts- und Vertragsbiografien unter dem WissZeitVG. Inzwischen haben sich über 9.000 Personen in über 90.000 Tweets angeschlossen.
Die ausliegenden Exponate zeigen Stationen der Debatte auf:
Kristin Eichhorn, Amrei Bahr, Sebastian Kubon: 95 Thesen gegen Zeitverträge, in: bbz (Berliner Bildungszeitschrift), Juli/August 2021 (von Kristin Eichhorn)
Typoskript von Amrei Bahr: Statement im Rahmen der öffentlichen Stakeholder-Anhörung am 31.3.2023 auf Einladung des Parlamentarischen Staatssekretärs der Bildungsministerin, Jens Brandenburg, in Reaktion auf den ersten Reformentwurf (von Amrei Bahr)
Amrei Bahr, Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon: #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland. Berlin 2022. (ULB Bestand)
Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon (Hrsg.): #Wissenschaftshierarchien. Hemmnisse im deutschen Wissenschaftssystem. Marburg 2023 (=Kritische Reflexionen 11) (von Kristin Eichhorn)
In einem Erklärvideo von 2018 versuchte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) anhand der fiktionalen weißen Figur Hanna das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und das Sonderbefristungsrecht zu rechtfertigen. Mittlerweile wurde das Video von der Website entfernt.
Hanna ist promovierende Biologin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut, sie repräsentiert den Mittelbau. Hannas Stelle ist auf 3 Jahre befristet, sie soll das System nicht „verstopfen“ und möglichst schnell Platz machen. „Hanna weiß, dass man eine Karriere in der Wissenschaft frühzeitig planen muss“ und nimmt Beratungsmöglichkeiten wahr, um sich eine Anschlussanstellung zu sichern. Diese vom BMBF zu einfach gedachte Vorstellung der wissenschaftlichen Arbeit wird in der Realität von vielen Hürden begleitet.
#IchBinHanna – unter diesem Hashtag werden die vielen persönlichen Erfahrungsberichte über prekäre Arbeitsbedingungen geteilt, die Hanna ein Gesicht geben und zeigen, dass Hanna nicht alleine ist.
#IchBinReyhan erzählt aus einer nicht-weißen, (post-)migrantischen Perspektive, die von Diskriminierungserfahrungen geprägt ist.
#IchBinTina deckt Machtmissbrauch in der Wissenschaft auf.
„Wir werden künftig Personalmittel nicht mehr als Ausstattung einzelner Professuren behandeln, sondern gemeinsam bewirtschaften. In einem ersten Schritt stellen sieben Professor*innen „ihre“ WiMi-Stellen dem Institut zur Verfügung. Mit den freiwerdenden Mitteln wollen wir (i) drei neue Dauerstellen im Mittelbau schaffen, die neben Verwaltungs- und Organisationsaufgaben auch einen attraktiven Lehr- und Forschungsanteil haben sollen, (ii) zwei zusätzliche Tenure-Track-Professuren einrichten, ohne dazu bestehende Professuren einsetzen zu müssen, (iii) einige seit Jahren benötigte Maßnahmen im Bereich MTSV finanzieren und (iv) neue Tutor*innen einstellen. Der neue Umgang mit Personalmitteln verschafft uns zudem die Flexibilität, Finanzierungslücken zu überbrücken, um Juniorprofessuren mit einem TT zu versehen, die ihn noch nicht haben. Weitere Maßnahmen werden schrittweise so erfolgen, dass auch künftige akademische Generationen von den neuen Stellen profitieren.“
„Wir haben vor etwa fünf Jahren damit begonnen, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir die Reform der akademischen Personalstruktur, die viele Kolleg*innen in unserem Fach schon länger für geboten halten, an unserem eigenen Institut umsetzen können. Zu Beginn stand die Idee, dass einige Arbeitsbereiche damit beginnen. Durch die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes vor zwei Jahren hat die Diskussion dann noch mehr Fahrt aufgenommen. Inzwischen haben wir ein Konzept für das ganze Institut. Die genannten neuen Stellen sollen in den nächsten fünf Jahren eingerichtet und besetzt werden, aber die vollständige Umsetzung der Reform wird noch deutlich länger brauchen.“
„Wenn man die Anliegen von #IchBinHanna ernst nehmen will, kann und sollte man dies von zwei Seiten tun: Erstens sollte der Gesetzgeber die gesetzlichen Rahmenbedingungen für befristete Beschäftigung an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen reformieren. Zweitens sollte man von unten anfangen und in der eigenen Institution Modelle neuer Personalstrukturen diskutieren und umsetzen. Wir haben mit unserem Projekt auch das Ziel verbunden, einmal vorzuführen, dass man mit dem zweiten Weg weit kommen kann, wenn man nur will.“
„Die erste Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, weil eine Reform sehr unterschiedlich aussehen kann und auch in mehreren kleinen Schritten umgesetzt werden kann. Schrittweise zu reformieren ist ohnehin gut, um Erfahrungen zu sammeln und dem Anliegen der Generationengerechtigkeit Rechnung zu tragen. Wir sind ein großes Institut und benötigen unsere Haushaltsmittel weitgehend nicht für Promotionsstellen. Das sind sicher Punkte, die es einfacher machen, mehrere neue Dauerstellen für Promovierte zu schaffen. An Instituten mit anderen Voraussetzungen würden die Reformen sicher anders aussehen. Ich fände es gut, wenn man in Deutschland dazu in den nächsten Jahren verschiedenes ausprobieren würde.
Unser Institut hat durch die Reform unserer Meinung nach viele Vorteile: Wir verlieren nicht immer wieder unsere besten Leute, haben mehr Kolleg*innen, die von Beginn an auf Augenhöhe mit uns arbeiten, haben mehr Kontinuität in Lehre und Forschung und können neue inhaltliche Schwerpunkte setzen. Und die neu einzustellenden Kolleg*innen profitieren hoffentlich auch davon, mit Aussicht auf dauerhafte Beschäftigung bei uns arbeiten zu können.“
Gute Wissenschaft braucht verlässliche Arbeitsbedingungen. Deswegen wollen wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Basis der Evaluation reformieren. Dabei wollen wir die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Post-Doc-Phase deutlich erhöhen und frühzeitiger Perspektiven für alternative Karrieren schaffen. Wir wollen die Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit knüpfen und darauf hinwirken, dass in der Wissenschaft Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden. Wir tragen für eine verbesserte Qualitätssicherung der Promotion Sorge. Wir wollen die familien- und behindertenpolitische Komponente für alle verbindlich machen.
Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Fortschritt und Gerechtigkeit, Koalitionsvertrag 2021-2025
Wir wissen, dass eine Gesetzesreform auf Bundesebene keine konkreten Reformen auf der Länder- oder Hochschulebene bewirken kann. Dennoch bedarf das akademische System in Deutschland nachhaltiger Strukturveränderungen. Wichtig hierfür sind etwa folgende Punkte:
ProfsFuerHanna #ProfsFuerReyhan, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft (14.06.2023)
• Die Schaffung von deutlich mehr Dauerstellen neben der traditionellen Professur.
• Ein Abbau der Abhängigkeit wissenschaftlicher Beschäftigter von einzelnen Professorinnen. Mitarbeitende sollten nicht mehr einfach als ‚Ausstattung‘ einer Professur behandelt werden.
• Eine durchdachte und nachhaltige, deutlich höhere Grundfinanzierung der Hochschulen, u.a. um Stellen zu schaffen. Die Stellenbewirtschaftung durch Drittmittel sollte begrenzt werden.
• Höchstquoten für den Anteil befristeter Stellen, die sowohl bundes- als auch landesgesetzlich (im Notfall auch durch Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen) festgeschrieben werden können. Solche Höchstquoten sollten nicht dazu genutzt werden, wie es in einigen Bundesländern schon praktiziert wird, den Status quo zu konsolidieren, sondern zumindest ansatzweise in Richtung arbeitsmarktüblicher Befristungsanteile gehen.
• Die Begrenzung der Qualifizierungsphase auf die Promotionszeit und somit eine angemessene Anerkennung promovierter Wissenschaftlerinnen.
Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon haben #IchBinHanna initiiert. Was ist ihre Antwort auf die Frage in einem Satz?
Existenzängste, extremer Wettbewerb und überzogene Anforderungen schaden Wissenschaftler*innen und blockiere gute Forschung und Lehre – es ist höchste Zeit für faire Arbeitsbedingungen und echte berufliche Perspektiven in der deutschen Wissenschaft!
Amrei Bahr
Es braucht eine umfassende Reform der wissenschaftlichen Personalstruktur, um Hierarchien abzubauen und mittels neuer Stellentypen endlich systematisch Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu schaffen, die nicht an Befristung gekoppelt sind.
Kristin Eichhorn
Lehre und Wissenschaftskommunikation müssen zukünftig neben der Forschung gleichberechtigte Bedeutung haben!
Sebastian Kubon
https://linktr.ee/heineshannas
Von und mit studentischen Beschäftigten! Auch diese kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen – ihnen gehört die vierte Vitrine unserer Ausstellung. Mehr Infos hier.
So liegen die Informationen, die auf dieser Seite zu finden sind, in den Ausstellungsvitrinen.